Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit e.V.
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Tropenmedizin, Reisemedizin
und Globale Gesundheit e.V.
 
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Tollwut ist eine letal verlaufende zoonotische Viruserkrankung. Man unterscheidet terrestrische Tollwut durch am Boden lebende Säugetiere von Fledermaustollwut. Deutschland sowie die übrigen westeuropäischen Länder sind frei von terrestrischer Tollwut. Dies schließt Hunde- und Fuchstollwut ein. Viele Länder der Welt, insbesondere in den Tropen und Subtropen sowie Zentralasien, sind tollwutenzootisch. Außerdem muss weltweit mit dem Risiko einer Infektion durch Kontakt mit Fledermäusen gerechnet werden.

Bei einem Biss, Kratzer oder einem Schleimhautkontakt mit Blut oder Speichel eines infizierten Säugetiers besteht ein Tollwutrisiko. Verletzungen durch potenziell tollwütige Tiere sind ein relevantes reisemedizinische Problem, die Inzidenzrate wird auf rund 0,5 % pro Reisemonat geschätzt. In einer deutschen Studie berichteten 2 % aller Reisenden über eine Exposition mit potenziellem Tollwutrisiko, rund ein Drittel der Tierkontakte wurde als unprovoziert angegeben. In einer Studie des GeoSentinel Netzwerks wurden die meisten Tierkontakte von Reisenden aus Asien gemeldet; am häufigsten beteiligte Tierspezies waren Hunde, Affen und Katzen, wobei das tatsächliche Hauptrisiko von Hunden ausgeht, die ursächlich für über 99 % der weltweiten Tollwutfälle sind.

Tollwutimpfstoff und das zur postexpositionellen Versorgung einer Biss- oder Kratzwunde erforderliche Anti-Rabies-Immunglobulin (RIG) sind in vielen Ländern nicht verfügbar. Jeder Reisende sollte daher primär über das lokale Tollwutrisiko aufgeklärt werden sowie über Maßnahmen zur Vermeidung von Tierkontakten und Verhaltensmaßnahmen nach einem Kontakt mit einem potenziell tollwütigen Tier.

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Reisemedizinische Indikation zur präexpositionellen Impfung

Reisende in Länder mit hohem oder moderatem Tollwutrisiko, speziell bei:

  • Mangel an in Europa zugelassenen oder von der WHO präqualifizierten Impfstoffen und Immunglobulin
  • Langzeitaufenthalten (> 4 Wochen) bzw. auch kumulativ bei wiederholten Kurzreisen
  • Unzureichender ärztlicher Versorgung vor Ort
  • Einfachen Reise- oder Aufenthaltsbedingungen oder Aktivitäten mit erhöhter Expositionsgefahr (z. B. Fahrrad- oder Motorradtouren, Joggen)
  • Vorhersehbarem Umgang mit Säugetieren, inkl. Fledermäusen

Kleinkinder und Kinder sollten großzügig geimpft werden, da sie oft den Kontakt zu Tieren suchen, gleichzeitig u. U. über Risikokontakte aber nicht immer berichten (können).

Unabhängig davon, ob sich ein Reisender für eine Tollwutimpfung entscheidet oder nicht, sollte bei jeder Beratung auf das Risiko und die Möglichkeiten zur Prävention von Tierbissen und auf die sehr wichtige, sofortige und gründliche Wundreinigung nach einem Biss hingewiesen werden. Laut WHO soll eine Bissverletzung für 15 Minuten unter fließendem Wasser mit Seife oder anderen tollwutvirusabtötenden Substanzen gereinigt werden.

Impfstoffe

In Deutschland sind 2 Totimpfstoffe auf Basis inaktivierter Tollwutviren zugelassen (▶Tab. 8). Die beiden Impfstoffe sind innerhalb einer Impfserie miteinander austauschbar. Bei schwerer Hühnereiweißallergie ist Tollwutimpfstoff Verorab zu bevorzugen, der auf Vero-Zellen hergestellt ist.

▶Tab. 8           Präexpositions-Tollwutimpfung – Grundimmunisierung und Auffrischimpfung.

Empfehlung

Rabipur1

Verorab2

WHO

Standardimpfschema

Tag 0, 7, 21 oder 28

Tag 0, 7, 21 oder 28

Tag 0 und 74

Verkürzte Impfschemata (nur bei Immunkompetenz)

Tag 0, 3, 73

 

s.o.

Auffrischimpfung5

Alle 2–5 Jahre

Nach 1 Jahr, dann ggfs. alle 5 Jahre

Nicht routinemäßig empfohlen

1 Bavarian Nordic, Fachinformation, Stand 09/2020

2 Sanofi-Pasteur, Fachinformation, Stand 05/2023

3 Nur im Alter von 18–65 Jahren

4 Laut Expertenmeinung ist es immunologisch günstiger, die zweite Impfung später als Tag 7 (z.B. Tag 21–28) durchzuführen.

5 Laut STIKO-DTG-AG: Keine regulären Auffrischimpfungen, nur bei persistierend hohem Expositionsrisiko, z.B. durch berufliche Tätigkeit.
Ausnahme: 2-Dosen-Schema von Tollwutimpfstoff HDC. Hier wird eine Auffrischimpfung nach (frühestens) einem Jahr empfohlen.

Applikation

Schemata zur Tollwutgrundimmunisierung finden sich in ▶Tabelle 8.

Nach einem Mindestabstand von einem Jahr sollte eine Auffrischdosis verabreicht werden, sofern eine Indikation besteht. Das Kurzschema ist für Immunkompetente zugelassen. Eine Altersbeschränkung wird nicht angegeben.

Das Kurzschema der WHO (▶Tab. 8) ist in Deutschland bisher nicht zugelassen ist. Beim WHO-Schema ist jedoch keine Auffrischimpfung nach einem Jahr vorgesehen. Laut WHO wird bereits nach 2 Dosen von einer langjährigen postexpositionellen Boostbarkeit (mit 2 Impfdosen) ausgegangen.

Zum postexpositionellen Vorgehen nach Gabe des 2-Dosen-Schemas: s. u.

Kommentare

  • Laut Expertenmeinung scheint es immunologisch günstiger zu sein, bei 2-Dosen-Schemata zwischen den beiden Dosen der Grundimmunisierung 21–28 Tage Abstand vorzusehen, statt der 7 Tage laut Fachinformation.
  • Die Herstellerfirma von Rabipur bemüht sich derzeit gleichermaßen um eine Anpassung der Zulassung im Sinne eines 2-Dosen Schemas (Stand: Januar 2023). Eine präexpositionelle Anwendung im 2-Dosen-­Schema ist aktuell noch ein Off-Label-Use.

Wirksamkeit

Zuverlässig; Beginn ca. 2 Wochen nach der zweiten Dosis. Bei Immundefizienz ist der Impferfolg fraglich; in diesen Fällen wird eine Antikörperbestimmung empfohlen. Wenn neutralisierende Antikörperspiegel unter 0,5 IE/ml liegen, soll eine Nachimpfung erfolgen.

Schwangerschaft

Totimpfstoffe können in der Schwangerschaft grundsätzlich verabreicht werden (s. u.), die Hersteller empfehlen eine Nutzen-Risiko-Abwägung für die präexpositionelle Impfung. Für die postexpositionelle Immunisierung bei Schwangeren bestehen keine Einschränkungen, da Tollwut letal verläuft. Laut WHO sind sowohl die Aktivimmunisierung als auch Tollwut-RIG sicher und wirksam in der Schwangerschaft [64].

Postexpositionelles Vorgehen

Nach einem Tierkontakt auf Reisen sind einige Informationen zu erfragen (▶Tab. 9).

Bei gegebener Indikation ist die Immunprophylaxe unverzüglich durchzuführen; es soll nicht bis zur Klärung des Infektionsverdachts beim Tier abgewartet werden. Wird der Tollwutverdacht beim Tier z. B. durch tierärztliche Untersuchung nachweislich entkräftet, kann die Impfserie abgebrochen oder im Sinne einer präexpositionellen Impfung weitergeführt werden.

Aufgrund der großen Variabilität der Inkubationszeit von Rabies, die zwischen < 10 Tagen und > 1 Jahr betragen kann, ist bei begründetem Verdacht auf einen tollwutgefährdenden Tierkontakt eine Tollwut-Postexpositionsprophylaxe (PEP) auch noch Monate nach der Exposition sinnvoll. Zwar sollte eine Impfung baldmöglich nach einem Tierkontakt stattfinden, es gibt jedoch kein „zu spät“.

Eine Übersicht zur postexpositionellen Vorgehensweise gibt ▶Tabelle 10. Bei unvollständiger Grundimmunisierung ist die Vorgehensweise identisch zu derjenigen bei fehlender Grundimmunisierung.

▶Tab. 9           Wichtige anamnestische Fragen bei Kontakt mit einem potenziell tollwutverdächtigen Tier.

Frage

Erläuterung

Mit welcher Tierart fand der Kontakt statt?

Nur Säugetiere können Rabies übertragen. Von Kleinnagern (z.B. Mäusen) geht kein Risiko aus.

In welchem Land fand der Kontakt statt?

In einem rabiesfreien Land ist nach Kontakt mit einem terrestrischen Tier meist keine Tollwutimpfung erforderlich1 (Ausnahme: Biss durch importiertes Tier aus tollwutenzootischem Land). Bei Kontakt zu Fledermäusen ist weltweit ein Rabiesrisiko anzunehmen.

Welcher Art war die Exposition?

WHO-Grad I–III, s. ▶Tab. 10, die Kategorisierung der Verletzung und der Impfstatus bestimmen das Handeln.

Lag eine Tollwutgrundimmunisierung vor?2

Bei vollständiger Grundimmunisierung sind bei Immunkompetenten postexpositionell nur 2 Aktivimmunisierungen an Tag 0 und 3 erforderlich (ab WHO-Grad II der Exposition).

Welche Maßnahmen sind bereits erfolgt?

Wurde die aktive Impfung bereits im Reiseland begonnen? – Wenn ja, wird die Impfserie entsprechend fortgesetzt.
Wurde ggfs. die passive Immunisierung schon verabreicht? – Diese kann notfalls bis max. 7 Tage nach der ersten Aktivimpfung nachgeholt werden.
Weitere Maßnahmen: Tetanusimpfung, ggfs. Prophylaxe mit Valaciclovir/Aciclovir (nach Affenbiss) zur Prophylaxe gegen Macacine alphaherpesvirus 1 (McHV-1, vormals Herpes-B-Virus), ggfs. Antibiotikatherapie

1 Eine Liste von Ländern mit enzootischer terrestrischer Tollwut findet sich z.B. auf den Internetseiten von Public Health England [65].

2 Drei Impfstoffdosen bzw. 2 Impfstoffdosen Tollwutimpfstoff HDC im Abstand von mindestens 7 Tagen, bei letztgenannten sofern die Exposition binnen eines Jahres nach Grundimmunisierung erfolgt.

▶Tab. 10         Indikationen für eine postexpositionelle Tollwutimmunprophylaxe (Tollwut-PEP) bei Immungesunden

Grad der Exposition (WHO)

Art der Exposition durch ein tollwutverdächtiges Tier

Postexpositionelle Immunprophylaxe1

Nicht oder unvollständig geimpfte Personen2

Vollständig grundimmunisierte Personen3

I

Berühren/Füttern von Tieren, Belecken der intakten Haut

Keine Impfung

Keine Impfung

II

Nicht blutende oberflächliche Kratzer oder Hautabschürfungen; Lecken oder Knabbern an der nichtintakten Haut

Tollwutimpfserie4

Immunisierung mit 2 Impfstoffdosen im Abstand von 3 Tagen

III

Bissverletzungen oder Kratzwunden, Kontakt von Schleimhäuten oder Wunden mit Speichel (z.B. durch Lecken), Verdacht auf Biss oder Kratzer durch eine Fledermaus (ab WHO-Grad II) oder Kontakt der Schleimhäute mit einer Fledermaus

Tollwutimpfserie4,
Simultanverabreichung von Tollwutimmunglobulin 20 IE/kg KG (Ausnahme s. 2)

Immunisierung mit 2 Impfstoffdosen im Abstand von 3 Tagen

1 Die Immunisierung kann mit Rabipur oder Tollwutimpfstoff HDC inaktiviert erfolgen.

2 Als ungeimpft oder unvollständig geimpft gelten im Deutschland Personen, die <3 Impfdosen im Rahmen einer Grundimmunisierung erhalten haben. Ausnahme: Impfung mit 2 Dosen Tollwutimpfstoff HDC inaktiviert im Abstand 0 und (mindestens) 7 Tage, die ≤1 Jahr zurückliegt. Personen die vor >1 Jahr mit 2 Dosen Tollwutimpfstoff HDC inaktiviert grundimmunisiert sind, sollen eine vollständige Tollwutimpfserie mit 4–5 Dosen erhalten, eine Immunglobulingabe ist jedoch nicht erforderlich.

3 Personen mit einer präexpositionellen Grundimmunisierung (PrEP) mit 3 Impfstoffdosen bzw. mit 2 Impfstoffdosen HDC, bei letztgenannten, sofern die Exposition binnen eines Jahres nach Grundimmunisierung erfolgt.

4 Tollwut-PEP z.B. nach folgenden Schemata möglich: Essen-Schema: je 1 Impfstoffdosis an den Tagen 0, 3, 7, 14 und 28; Zagreb-Schema (nur bei Immunkompetenz): 2 Impfstoffdosen am Tag 0 (zeitgleich), je eine weitere Impfstoffdosis an den Tagen 7 und 21 (0, 0, 7, 21).

Besonderheiten beim neuen 2-Dosen-Kurzschema

Für das neu zugelassene 2-Dosen-Schema für den Tollwutimpfstoff HDC wurde vom Hersteller bislang nur eine Boostbarkeit von bis zu einem Jahr nach Grundimmunisierung gezeigt [66]. Mit „Boostbarkeit“ ist in diesem Zusammenhang gemeint, dass nach der Gabe von 2 Dosen Tollwutimpfstoff im Sinne einer postexpositionellen Prophylaxe kurzfristig ein hinreichender Antikörpertiter erzielt wird.

Langzeitdaten fehlen. Es ist daher derzeit noch unklar, ob bei Exposition > 1 Jahr nach Grundimmunisierung mit dem 2-Dosen-Schema eine Boostbarkeit mit nur 2 Dosen PEP gegeben ist, wie dies bei einer vollständigen Grundimmunisierung empfohlen ist (▶Tab. 10) oder wie das die Empfehlungen der WHO nahelegen. Es wird daher vom Hersteller bei > 1 Jahr zurückliegender Grundimmunisierung und nicht erfolgter Auffrischung bei Tollwutkontakt eine 4–5 Dosen-PEP empfohlen; die Gabe von Immunglobulinen ist jedoch nicht erforderlich.

Zusammenfassend ist für den beratenden Arzt die aktuelle Lage bezüglich der unterschiedlichen Schemata zu Tollwut-PrEP und PEP unübersichtlich. Die STIKO-DTG-AG plant einen systematischen Literaturreview, um eigene Aussagen zur Langzeitimmunität von 2-Dosen-Schemata zur Tollwutgrundimmunisierung und entsprechende Empfehlungen treffen zu können.

Besonderheit der postexpositionellen Versorgung bei Menschen mit Immundefizienz

Menschen mit Immundefizienz sollten bereits ab WHO-Expositionsgrad II mit einer vollständigen Tollwutimpf­serie mit 5 postexpositionellen Impfstoffgaben immunisiert werden und Immunglobulin erhalten; auch bei abgeschlossener präexpositioneller Grundimmunisierung. 2–4 Wochen nach der letzten Impfstoffdosis soll eine serologische Kontrolle erfolgen. Bei einem Titer < 0,5 IE/ml werden zusätzliche Impfstoffdosen erforderlich.